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Über die Unterdrückung ungeliebter Gefühle

Ich war gestern auf einem Vortrag, in dem es unter anderem um Polarität ging. Es war sehr, sehr interessant! Es wurde davon gesprochen, dass wir immer beide Pole in uns tragen.

Das Licht und den Schatten, die Freude und die Traurigkeit, das Gute und das Böse. Als der Referent darüber sprach, dass wir oft den negativ besetzten Pol aussperren möchten und dieser dann umso heftiger an unsere Tür klopft und uns im Alltag in unterschiedlichster Art begegnen wird, meldete sich eine Frau zu Wort und meinte, dass Wut und Aggression bestimmt nicht zu ihr gehörten.

Sie erzählte uns von vielen Situationen, in denen sie mit Licht und Liebe Frieden in das Leben anderer Menschen gebracht hatte. Ich war gelangweilt und genervt von den vielen Geschichten, die sie erzählte, weil mich ihre Selbstdarstellung nicht interessierte. Sie hatte meinen schwachen Punkt berührt und ich fragte sie, ob sie nur darüber spricht oder ob sie die Liebe auch spüren kann. Und damit hatte ich nun ihren Nerv getroffen, und sie erwiderte: „Warum greifst du mich an?“ Wir waren ein Paradebeispiel für Ablehnung und Widerstand.

Die Liebe wird sehr oft missbraucht, damit wir in ihrem Namen, Harmonie und Frieden herstellen können. Dass sie dafür herhalten muss, weil wir eben nicht bedingungslos lieben, sondern Emotionen in gut und böse bewerten. Begegnet uns dann eines der ungeliebten Gefühle, können wir es nur schwer aushalten.

Wir fühlen uns angegriffen und reagieren mit Widerstand. Ich wage zu behaupten, dass ich in dem Moment, in dem ich einer unangenehmen Situation mit dem Wort Liebe begegne, ich es benutze, um was immer ich da gerade fühle, nicht spüren zu müssen. Natürlich ist es allemal besser, als mit Gewalt zu antworten, aber die propagierte Heilung liegt darin auch nicht. Mag sein, dass wir tiefe Verletzungen in uns tragen und wir uns so vor weiteren schützen möchten, doch für mich passiert wahre Liebe nur durch das ehrliche Annehmen aller Gefühle.

Begegnet mir Wut oder Traurigkeit in einem anderen und verspüre die Regung des Widerstands in mir, begegne ich im Grunde nur meinem eigenen abgelehnten Anteil. Wäre ich im Frieden damit, könnte ich das Gefühl beim anderen belassen und müsste nicht die Liebe als Schutzwall benutzen.